Staatstheater Nürnberg – Maria
Staatstheater Nürnberg – Maria

Staatstheater Nürnberg – Maria

Was trug Maria unter ihrem Herzen?

CW: Diskussion von Fehlgeburten, sexuelle Belästigung, Suizidgedanken

In Simon Stephens‘ „Maria“ ist die Titelfigur keine biblische Jungfrau, sondern Ria, eine schwangere Achtzehnjährige in einer englischen Hafenstadt. Wer der Vater ihres Kindes ist, weiß sie nicht, und auch sonst mangelt es ihr an Unterstützung. Ihr eigener Vater scheut die Nähe zu ihr und den Bruder hat sie nicht mehr gesehen, seit er die Beerdigung ihrer Mutter verpasst hat. Nun lebt sie bei ihrer Oma und die beiden geben ihr Bestes, sich umeinander zu kümmern. Am 24. Mai 2024 feierte das Stück unter der Regie von David Bösch seine Premiere im Schauspielhaus des Staatstheaters Nürnberg.

Während der Geburt ihres Kindes ist niemand bei Ria (Katharina Kurschat), nur zwei Krankenhausangestellte, die sie siezen. Dabei hat sie so viele Leute gefragt: ihre Oma (Adeline Schebesch), ihren Vater (Thorsten Danner), eine Freundin (Elina Schkolnik), am Ende sogar einen Pfarrer (Amadeus Köhli). Aber alle finden Gründe, warum sie nicht mitkommen können. Vielleicht hätte der Hafenarbeiter, mit dem sich Ria des Öfteren trifft (Aydın Aydın), sie ja begleitet, aber seine Annäherungen und Fragen, ob sie denn nicht gerne einen Vater für ihr Kind hätte, weist sie zurück. Und meint schließlich: „Die haben bestimmt mehr Zeit für mich, wenn ich da alleine hingehe.“ Eine bezeichnende Aussage der jungen Protagonistin, die vor so vielem Angst hat und doch so vieles allein stemmt – ihre Schwangerschaft und Geburt, einen Jobwechsel, die Sorge um die immer kränker werdende Oma und die Suche nach ihrem Bruder.

„Ich hab‘ da neulich ‘ne Doku geschaut…“

Das hört man von Ria immer wieder. Sie ist an jedem Thema interessiert, wissbegierig, offen. Auch für ihre Mitmenschen. Diese schaffen es selten, sich auf echte Nähe einzulassen, bleiben lieber an der Oberfläche und schrecken zurück, wenn es zu persönlich wird. Anders ist das mit den Klient*innen in dem Online-Gesprächsservice, bei dem Ria später ihr Geld verdient. Durch den Bildschirm geben diese Fremden schnell und ungehemmt viel von sich preis – und kommen letztlich zu nah.

Was ihre Schwangerschaft anbelangt, mischt sich Rias Neugierde mit deutlicher Angst. Bei einem Arzttermin stellt sie viele Fragen, die nüchtern und wenig einfühlsam beantwortet werden. Sie scheint bemüht, will einen guten Eindruck hinterlassen, alles richtig machen. „Also nehmen Sie es mir nicht weg?“, fragt sie, als der Arzt (Thorsten Danner) ihre vollends zufriedenstellenden Laborergebnisse vorliest. Ria sieht sich mit Ansprüchen konfrontiert, denen sie nicht genügen kann, lebt sie doch in einer ganz anderen Welt als die Momfluencerinnen, die auf Social Media von Yogaübungen und grünen Smoothies schwärmen. Ungesunde Ernährung, Angst und schlechte Laune seien einer Schwangerschaft nicht zuträglich, heißt es in einer Doku. Aber wie soll Ria das vermeiden, in einer Stadt, die sie hasst, zu diesem Zeitpunkt angestellt in einem schlecht bezahlten Putz-Job und mit viel mehr Verantwortung, als sie in ihrem Alter tragen sollte?

Katharina Kurschat verkörpert die Protagonistin mit so viel Humor und Zartheit, dass man nicht anders kann, als sie von der ersten Minute an ins Herz zu schließen und das gesamte Stück hindurch mit ihr mitzufühlen. Die Inhalte der Dokus, die Ria immer wieder einschaltet, werden als Lieder umgesetzt (Komposition: Vera Mohrs), vorgetragen durch das gesamte Ensemble, aber in erster Linie durch Elina Schkolnik und Katharina Kurschat, deren musikalische Darbietungen das Publikum mit mehrmaligem Szenenapplaus würdigte. Mal sind diese Lieder lustig, mal unterstreichen sie sehr wirkungsvoll emotionale Momente. Ebenso effektiv ist das Bühnenbild unter der Leitung von Patrick Bannwart: Drei Räume auf einer Drehbühne stellen zahlreiche Handlungsorte dar. Immer wieder, während sie vom Publikum abgewandt sind, werden sie neu eingerichtet. Es entsteht ein Gefühl der Unbeständigkeit, das zu Rias Beschreibung der Hafenstadt passt – „Nichts bleibt mal hier. Nichts bleibt mal hier für mich.“ Das alles fügt sich zusammen zu einer in jeder Hinsicht gelungenen Inszenierung, die absolut zu empfehlen ist.

Weitere Aufführungen finden am 30.05., 04.06., 06.06., 08.06., 14.06., 28.06., 07.07., 09.07. sowie am 14.07.2024 statt.

von Johanna Ammon

Bild links (v.l.n.r.): Adeline Schebesch, Katharina Kurschat; Bild rechts: Katharina Kurschat

Bild links (v.l.n.r.): Katharina Kurschat, Aydın Aydın; Bild rechts (v.l.n.r.): Thorsten Danner, Katharina Kurschat

Bild links: Katharina Kurschat; Bild rechts (v.l.n.r.): Amadeus Köhli, Elina Schkolnik, Adeline Schebesch, Thorsten Danner, Mitte: Katharina Kurschat

alle Fotos: © Konrad Fersterer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert